Wenn Ryoyu Kobayashi einen perfekten Sprung absolviert, kommen selbst seine Konkurrenten nicht mehr aus dem Staunen heraus. „Dann springt er einfach in einem anderen Stockwerk als alle anderen“, schwärmt der deutsche Topflieger Karl Geiger. Und Österreichs Superadler Stefan Kraft, immerhin Weltmeister und Skiflug-Weltrekordler, hat zugegeben, dass er den Sprungstil von Kobayashi zu imitieren versucht.
Das hat damit zu tun, dass der Japaner im Skisprung-Winter 2018/2019 zum Überflieger geworden ist:
Sein Erfolgsgeheimnis: Die außergewöhnliche Sprungtechnik und genau wie beim Polen Dawid Kubacki seine rosa Sprungski mit dem Schriftzug BWT.
Ebenso wie Europas Technologieführer in Sachen Wasser ist der Fernost-Flieger Kobayashi in seiner Branche das Maß der Dinge. Und nebenbei sorgt der Japaner dafür, dass die Sportfamilie von BWT zusammenwächst. Als Auszeichnung für seine außergewöhnlichen Erfolge 2019 wurde Ryoyu Kobayashi von BWT zum Formel-1-Grand-Prix in Suzuka in seiner japanischen Heimat eingeladen. Seitdem gehören Formel-1-Piloten wie Sergio Perez zu den Fans von Kobayashi in den sozialen Medien – genau wie der Japaner dort ebenso einigen der besten Rennfahrern auf diesem Globus folgt.
Kobayashi liebt nämlich außer dem Skispringen vor allem schnelle Autos und modisch-gestylte Dinge. Er hat sich selbst einmal als „etwas verrückten Neo-Japaner“ bezeichnet. Übersetzt heißt das wohl, dass traditionelle japanische Tugenden wie harte Arbeit nicht der einzige Richtungsweiser in seinem Leben sind. Über Weihnachten hat er zum Beispiel auf das Training verzichtet und war in Paris. Gerade in einer Kopf-Sportart wie Skispringen hilft so eine Einstellung immens. „Roy lebt abseits der Schanze in seiner eigenen Welt, denkt nicht 24 Stunden an Skispringen, er möchte Skispringen auch nicht als Beruf ansehen, weil ihn das zu sehr belasten würde“, verrät Richard Schallert.
Der Österreicher Schallert ist seit dem Frühjahr 2019 sein Heimtrainer und er hilft dabei, das Phänomen Kobayashi zu erklären. Ryoyu Kobayashi ist nämlich für die Flieger-Szene immer noch ein Rätsel. Nicht nur wegen seines einzigartigen Flugstils, der ihn nach einem Katapultstart blitzartig in die richtige Fluglage bringt und mit maximaler Geschwindigkeit zu Topweiten fliegen lässt. Sondern vor allem wegen seiner Wortkargheit unter dem Motto „Weite Sprünge, kurze Sätze.“ Wenn er Fragen gestellt bekommt, sind Kobayashis Antworten meist ultrakurz. Selbst wenn der Übersetzer versucht, wirklich alles rauszuholen.
Auf die Nachfrage, was der Sieg bei der Vierschanzentournee und im Gesamtweltcup im vergangenen Winter verändert hat, sagt Kobayashi lediglich: „Ich muss mehr Interviews geben.“ Dass der Posterboy in der Heimat auf der Straße erkannt wird und ein echter Frauenschwarm ist, erfährt man nur aus anderen Quellen. Der Mann mit dem Spitznamen „Roy“ ist inzwischen nicht nur in Japan eine echte Berühmtheit.
Kein Wunder, schließlich kann dieser junge Mann noch über Jahre die Skisprung-Welt mitdominieren.
Bis vor dem Winter 2018/2019 war ein sechster Platz sein bestes Resultat, doch dann fand er die perfekte Kombination zwischen seinem extremen Sprungstil und den BWT Ski. Zu verdanken hat er das auch seinem inzwischen 47 Jahre alten Teamkollegen Noriaki Kasai. Die Skisprung-Legende hat ihn in sein Firmenteam geholt hat und als Mentor unterstützt. ARD-Experte Dieter Thoma ist sich sicher, dass Kobayashi „die Zukunft des Skispringens ist“.
Das hat auch etwas mit einer etwas anderen Philosophie vom Skispringen zu tun. Der athletische Kobayashi ist vom Gewicht etwas schwerer als die Konkurrenz im Verhältnis zur Körpergröße und darf deshalb etwas längere Ski springen. „Dadurch hat er beim Flug mehr Fläche, die er nutzen kann. Das könnte zu einem neuen Trend im Skispringen werden. Kobayashi hat gezeigt, dass man auch mit einem normalerem Gewicht extrem erfolgreich sein kann“, sagt Skisprung-Legende Sven Hannawald: „Kobayashi wird im Flug immer schneller. Dadurch fliegt er unten weiter, wenn alle anderen schon landen müssen. Durch diesen Stil ballert es ihn regelrecht weg.“
Dabei hat Kobayashi seine Karriere einst als Nordischer Kombinierer begonnen und war somit auch Skilangläufer. Zum Fliegen brachte ihn dann sein Vater, genau wie seine drei Geschwister. Ryoyus fünf Jahre älterer Bruder Junshiro klopfte in den vergangenen Jahren an die Tür zur Weltspitze an. Vor allem aber baut er im Doppelzimmer seinen Bruder Ryoyu auf. Das Ergebnis: Der Überflieger überzeugt nicht nur mit seinen spektakulären Weiten, sondern trotz allen Trubels auch mit großer Nervenstärke. Die sogar seine Konkurrenten manchmal zum Staunen bringt.